Die schlimmsten Barrieren sind die im Kopf!
Am 3. Dezember ist der internationale Tag der Menschen mit Behinderung.
Jedes Jahr am 3. Dezember begehen wir den Tag der Menschen mit Behinderung. Ein guter Anlass darüber nachzudenken, ob unsere Gesellschaft Menschen mit Behinderung ein gleichberechtigtes Leben ermöglicht. Die Forderung der Menschen mit Behinderung zum Tag der Behinderung lautet: "Nichts über uns ohne uns". Denn schließlich können nur sie darüber Auskunft geben, ob Teilhabe in unserem Land gelingt. Was die Teilhabe ganz sicher erschwert, sind die weit verbreiteten Vorurteile gegenüber behinderten Menschen. Und davon gibt es mehr als genug.
Weniger Vorurteil ist mehr Teilhabe
Der Sozialdienst "Aktion Mensch" hat vor einigen Jahren die 11 schlimmsten Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung aufgelistet. Diese 11 Punkte sind immer noch aktuell. Sie reichen von der Überzeugung, dass Menschen mit Behinderung grundsätzlich hilfsbedürftig seien, bis hin zum Glaubenssatz, dass Inklusion vor allem teuer ist und wir alle mit unseren Steuergeldern dafür zahlen müssen.
Welches Vorurteil sich vor allem sehr hartnäckig hält, ist die Vorstellung, dass Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung kein glückliches Leben führen können. Dem ist nicht so, denn eine körperliche oder geistige Behinderung schränkt keineswegs das persönliche Glücksempfinden ein. Wohl aber die Ablehnung im Alltag, die diesen Menschen entgegenschlägt. Insofern sind es vor allem die Barrieren in den Köpfen der nichtbehinderten Menschen, die das Glücksgefühl der Behinderten deutlich einschränken.
An den Vorurteilen hat sich auch in den letzten fünf Jahren wenig geändert. Noch immer werden Menschen im Rollstuhl, ähnlich wie Menschen mit Sehbehinderung, gefragt, ob man ihnen im Supermarkt oder im Büro etwas anreichen kann oder man ihnen über eine vielbefahrene Straße helfen soll. Sicher gutgemeinte Gesten, aber für Menschen, die nicht gefragt werden wollen und praktisch ohne Hilfe durch Arbeitsleben und Alltag navigieren, sind solche Gesten schlicht übergriffig.
Von mehr Teilhabe profitieren alle.
Die barrierefreie Umgestaltung unserer öffentlichen Infrastruktur kostet viel Geld, das ist sicher richtig. Aber sie ist eine Investition, von der schließlich alle profitieren. Jeder, der schon mal die öffentliche Infrastruktur in skandinavischen Ländern erlebt hat, weiß, dass von Barrierefreiheit alle etwas haben. Zumal wenn man daran denkt, dass wir alle älter werden und irgendwann auf ganz alltägliche Dinge wie einen Aufzug an der S-Bahn Haltestelle zurückgreifen wollen. Spätestens dann wird klar, dass die Teilhabe nicht nur ein Recht für Behinderte, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger unserer Gesellschaft ist.
Was tun gegen Vorurteile?
Der persönliche Kontakt ist ein wichtiges Mittel, um Vorurteile gegenüber Menschen, die anders sind, abzubauen. Dabei ist es fast egal, um welche Unterschiede es geht: Behinderung und Nichtbehinderung, Hetero- und Homosexualität, Einwanderer und Menschen, die seit vielen Generationen hier leben. In den Worten von Raul Krauthausen, dem Gründer der Sozialhelden, klingt das so: "Wir erleben tagtäglich noch große Vorurteile und Berührungsängste von Nicht-behinderten Menschen. Kommen Menschen mit und ohne Behinderung nicht miteinander in Berührung, lassen sich die Berührungsängste und Vorurteile in der Gesellschaft und im Arbeitsleben aber nicht abbauen."
Der Arbeitsplatz als Integrationsfaktor
Vor allem der letzte Punkt ist wichtig. Denn der Arbeitsplatz ist einer der wichtigsten Kontaktpunkte für Menschen mit und ohne Behinderung. Eine neue Studie vom Karriereportal Monster – in Zusammenarbeit mit dem Aktivisten und Sozialhelden e.V.-Mitgründer Raul Krauthausen und dem Forschungsinstitut YouGov – hat diesen Kontakt untersucht. Die Zahlen sind ernüchternd. Lediglich 37 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Deutschland haben schon mal mit einem behinderten Menschen zusammengearbeitet. Nur knapp die Hälfte, also 47 Prozent, hatten noch in keiner Weise Kontakt mit behinderten Menschen. Besonders bemerkenswert: Jeder dritte Befragte gibt an, dass sein Arbeitsplatz gar nicht barrierefrei ist. Die Ergebnisse dieser Studie hat die "Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus" in diesem Sommer veröffentlicht.
Behinderte zeigen im Beruf, was sie draufhaben.
Die Trennung von Menschen mit und ohne Behinderung am Arbeitsplatz hat eine lange Tradition. Aber die Situation bessert sich, denn die Zahlen, die der Studie zugrunde liegen, sind deutlich besser als die vor zehn oder fünfzehn Jahren. Einen Lichtblick gibt es in der Studie: Je länger Menschen im Arbeitsleben stehen, desto geringer ist der Anteil der Menschen ohne eine persönliche Begegnung. Außerdem sind der jüngeren Generation Werte wie Inklusion und Gleichberechtigung wichtiger als der Generation der Baby-Boomer. Man kann also davon ausgehen, dass sich das Problem in gewisser Weise auswachsen wird. Das ist gut so, denn der Arbeitsplatz ist der beste Ort, Menschen mit Behinderung kennen zu lernen. Vor allem, weil Menschen mit Behinderung hier zeigen können, dass sie ganz und gar nicht nutzlos sind oder der Gesellschaft nur auf der Tasche liegen.
Integration im Alltag
Während am Arbeitsplatz der Kontakt von behinderten und nichtbehinderten Menschen derzeit noch eher die Ausnahme ist, hat sich im alltäglichen Leben viel getan. Die Zeiten, in denen man Menschen mit Behinderung im Regelfall in Heime weggesperrt hat, sind vorbei. Über das persönliche Budget und Assistenznetzwerke drängen Menschen mit Behinderung vom Rand in das Zentrum unserer Gesellschaft. Das ist auch der Gedanke von Unternehmen wie dem Netzwerk für persönliche Assistenz Futura-Berlin. "Mitten im Leben leben" ist der Claim dieses Assistenznetzwerks. Darunter fallen Punkte wie das Leben in einer eigenen Wohnung, eine selbst gewählte Ausbildung und die Teilnahme an allen Aktivitäten in Kultur und Freizeit. Futura setzt hierbei auf persönliche Assistent:innen. Sie arbeiten in kleinen, eigenständigen Teams und garantieren den Menschen mit Behinderung, dass ihnen von früh bis spät jemand zur Verfügung steht, der sie zum Arzt, zur Arbeit zum Ausbildungsplatz oder im Freizeitbereich begleitet. Und wenn nötig, auch rund um die Uhr. Natürlich sind Menschen mit Behinderung nicht auf Assistenzdienste angewiesen. Sie können mit dem Persönlichen Budget auch selbst zu Arbeitgeber:innen werden und das eigenständige Leben selbst organisieren.
Weniger Vorurteile für eine gerechtere Gesellschaft.
Für Menschen mit einer schwergradigen Behinderung sind ein Arbeitsplatz, der seinen Namen auch verdient und die individuelle und engmaschige Betreuung im Alltag essenziell. Ohne sie ist im Endeffekt keine Teilhabe an der Gesellschaft möglich. Und nur im Austausch mit behinderten Menschen werden wir auch die Chance haben, unsere vielen Vorurteile ihnen gegenüber abzubauen. Wer sich über die Möglichkeiten der Persönlichen Assistenz für Arbeit, Alltag und Freizeit informieren möchte, kann dies auf Seiten wie dem Infoportal für persönliche Assistenz tun.
Übrigens ist die Arbeit in der Persönlichen Assistenz eine gute, sinnvolle und inzwischen auch fair bezahlte Tätigkeit. Viele Assistenzdienste zahlen Menschen, die hier ohne eine lange, fachspezifische Ausbildung arbeiten, deutlich mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Deswegen arbeiten auch viele Quereinsteiger:innen, die in ihrem ursprünglichen Beruf nicht glücklich wurden, als persönliche Assistent:innen. Und sie werden dringend gesucht.